Offener Brief des Erzbischofs von Vaduz an die Regierung des Fürstentums Liechtenstein zur geplanten Revision des Ehegesetzes ("Ehe für alle")

Hiermit beziehe ich mich auf das Schreiben der Regierung des Fürstentums Liechtenstein vom 12. Juli 2023 (LNR 2023-1002 BNR 2023/1253; AP 131.2) betreffend den Vernehmlassungsbericht der Regierung betreffend die Abänderung des Ehegesetzes, des Partnerschaftsgesetzes und des Personen- und Gesellschaftsrechts (Umsetzung der Motion zur Öffnung der Ehe für alle), womit zahlreiche Adressaten bedient werden, unter anderen auch das Erzbistum Vaduz. Von dieser Seite, namentlich durch den Erzbischof von Vaduz, erfolgten von allem Anfang an mehrfach sachgerechte Äusserungen zum Thema der sogenannten “Eingetragenen Partnerschaft gleichgeschlechtlicher Personen” und zum nunmehr weiterführenden Projekt “Ehe für alle”, wobei stets die authentische Lehrtradition der katholischen Kirche zum christlichen Verständnis von Ehe und Familie getreulich wiedergegeben wurde. Diese lehramtlichen Aussagen und deren Konsequenzen basieren bekanntlich auf einschlägigen Inhalten der Heiligen Schrift und auf der darauf aufbauenden unveränderlichen Auslegung bzw. Lehrverkündigung der Kirche. Da diesbezüglich seitens des Erzbistums bereits alles Wesentliche in Erinnerung gerufen und mehrfach zum Ausdruck gebracht wurde, würde es sich eigentlich erübrigen erneut zum vorgelegten Vernehmlassungsbericht Stellung zu nehmen. Dennoch drängt es mich in meiner Verantwortung als Erzbischof unserer Teilkirche, kurz auf fünf bedeutsame Gesichtspunkte einzugehen.

1. Obwohl weder die privaten noch die öffentlichen bisherigen Interventionen seitens des Erzbischofs von Vaduz in Richtung Fürstenhaus, Landtag, Regierung und Landesbevölkerung in der gegenständlichen Problematik die an sich bei katholischen Staatsbürgern zu erwartende Beachtung und Anerkennung gefunden haben, halte ich mich nach wie vor für verpflichtet, die katholischen Gläubigen mit dem christlichen Verständnis der Ehe als eines Treuebundes von Mann und Frau und mit dessen grundsätzlicher Ausrichtung auf die Weitergabe des menschlichen Lebens vertraut zu machen. Eine Uminterpretierung des sowohl naturrechtlich grundgelegten als auch offenbarungsgemäss recht verstandenen Ehebegriffs ist nicht akzeptabel; eine solche widerspricht nur schon den natürlichen Gegebenheiten (biologisch, anthropologisch, soziologisch) des Menschseins. Es wird sich über kurz oder lang verhängnisvoll erweisen, wenn im Bereich der staatlichen Gesetzgebung bezüglich Ehe und Familie die Gender-Ideologie immer mehr um sich greift.

2. Wenn man die Verfassung des Fürstentums Liechtenstein in ihrem Wortlaut sowie von ihrem Ursprung her und in ihrer herkünftigen Betrachtung ernst nimmt, dann wird man nicht so schnell wie Punkt 5. im Vernehmlassungsbericht (S. 36-39) von einer Verfassungskonformität in Bezug auf die Einführung der “Ehe für alle” ausgehen können. Es sei denn, man verstünde sich immer mehr darauf, Art. 37 Abs. 2 LV zu einer “Leerformel” verkommen zu lassen bzw. in einem gewagten formaljuristischen Balanceakt um dessen Inhalt zu bringen. Jedenfalls hat das nichts mehr mit dem Geist des ursprünglichen Verfassungsgebers zu tun, wenn Fürst Johann II. von Liechtenstein bei der Sanktion der Verfassung 1921 von einem “auch weiter zu pflegenden Zusammenarbeiten von Staat und Kirche unter Gottes Schutz” schreibt.

3.Die vorhabliche Abänderung des Ehegesetzes wie zuvor schon die inzwischen eingeführte Gesetzgebung betreffend die “Eingetragene Partnerschaft gleichgeschlechtlicher Personen” übersehen gänzlich die pädagogische Bedeutung der betreffenden zivilgesetzlichen Neuerungen. Man mutet offenbar der Gesetzgebung keine erzieherische Qualität mehr zu. So stellt sich doch mit Recht die Frage, wie wird sich eine solche “Normalisierung” von quasi-ehelichen Personenverbindungen auf die jüngere Generation auswirken. Hier sei nur an die werbeträchtige Bewegung “The Sisters of Perpetual Indulgence”, wie sie sich bei der letzten liPride in Schaan präsentiert hat, erinnert. Die mit gewissen Ideen des Gutmenschentums auftretenden Extravaganten wirken mitunter auf junge Leute verführerisch und verlocken mit ihren ordensähnlichen Strukturen und Ritualen. Es ist nicht einfach hinzunehmen, dass einer solchen religiös verbrämten Unmoral hierzulande eine Plattform zur Propaganda geboten wird. Solchen Trends würde mit einer Öffnung der “Ehe für alle” geradezu Vorschub geleistet.

4. Art. 3 Abs. 1 und 2 des von der Regierung vorgeschlagenen Ehegesetzes sowie die diesbezüglichen Erläuterungen im Vernehmlassungsbericht (vgl. S. 26) erwecken zwar einen Religionsgesellschaften-freundlichen Eindruck, lassen aber bei genauerer Betrachtung erkennen, dass bei der wesentlichen Veränderung und Neuformulierung des Ehebegriffs (vgl. Art. 1) und des entsprechenden Vokabulars die religiöse Freiheit und die Gewissenslage bei Gläubigen, für welche dieser Ehebegriff inakzeptabel ist, durch eine obligatorische Ziviltrauung als Voraussetzung für die kirchliche/religiöse Trauung massgeblich tangiert werden. Somit legt es sich nahe, die Überlegungen aufzugreifen, die bereits in den 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts zur Debatte standen, nämlich diejenigen zur Einführung des Systems der fakultativen Zivilehe neben der vom Staat anzuerkennenden kirchlichen Eheschliessung (vgl. H. Wille, Staat und Kirche im Fürstentum Liechtenstein, Freiburg Schweiz 1972, S. 219-257, näherhin S. 252/253). Diese Frage stellt sich nunmehr geradezu in verschärfter Form.

5. Was die leichtfertige und unsachgemässe Behauptung einer “Diskriminierung” von Menschen mit andersartiger geschlechtlicher Orientierung und entsprechendem sexuellen Verhalten im Vergleich zu heterosexuellen Personen anbelangt, so ist klar zu unterscheiden zwischen der einzelnen Person und ihrer diesbezüglichen Ausrichtung und einer institutionellen rechtlichen Anerkennung von homosexuellen Beziehungen, die sodann mit dem Begriff einer Ehe erfasst würden. Selbstverständlich kann und darf es nie um eine Ächtung oder Minderbewertung der betreffenden Menschen gehen; etwas anderes aber ist die rechtliche Institutionalisierung einer Verbindung von Menschen des gleichen Geschlechts im Sinne einer Ehe, also die rechtliche Gleichstellung einer derartigen Beziehung. Diesbezüglich stünde die dem Menschen in seiner natürlichen Verfassung eigene Würde nach den ethischen Grundlagen des Christentums und auch von Religionen, die sich auf biblische Vorgaben abstützen, auf dem Spiel.

 

Schellenberg, 19.07.2023

✠ Wolfgang Haas
Erzbischof von Vaduz